26 Jun
Donnerstag 25. Juni 2009 (aus Sevilla)
Posted in Tagebuch/Wochenberichte by joho Keine Kommentare00:00 Anruf bei meiner Frau, die soeben ihren Geburtstag begeht. Es tut mir leid, dass ich nicht bei ihr sein kann. Während ich wenigstens telefonisch gratuliere, höre ich „Happy birthday“ singend die Kinder kommen.
01:00 Nachtruhe ist angesagt.
06:15 Diesmal brauche ich keinen Wecker und keine Handynachrichten, um meinen Tag zu eröffnen. Natürlich beginne ich den Tag mit Frühsport, wieder 5,2 km zum Kongresszentrum FIBES und zurück. Frühstück im Kreise der Rheinland-Pfälzischen Delegation, parallel deutsches Frühstücksfernsehen, Busfahrt zum Kongresszentrum.
10:00 Banges Warten, ob es denn so etwas wie eine Einschätzung gibt, wann Dresden einerseits und die Mittelrhein-Brücke andererseits zur Beratung
anstehen werden. Im Hotel haben wir uns vorsorglich erkundigt. Dort macht eine Verlängerung kein Problem. Die Fliegerumbuchungsmöglichkeiten werden zur Zeit gecheckt. Allerdings habe ich Freitag/Samstag/Sonntag jede Menge Termine, die ins Wanken kommen. Was man hier braucht, das ist Geduld und Bereitschaft Chaos zu ertragen. Beides habe ich nicht gerade im Übermaß, was mir aber auch nicht weiter hilft, weil wir keinen Einfluss auf die Abläufe hier in Sevilla haben. Also prüfen wir alle paar Stunden Varianten, wann wir dran kommen und wie wir dann auf dem schnellsten Wege Nach Hause kommen.
11:40 Die Debatte um den Welterbestatus von Dresden wird eröffnet. Niemand ahnt, dass das Folgende uns bald fünf Stunden beschäftigen wird. Das Welterbezentrum eröffnet mit einem Sachstandsbericht und zeigt mit Fotos auf, dass in Dresden die Bauarbeiten an der Brücke laufen. Die internationaIe Weltdenkmalorganisation ICOMOS plädiert für die Streichung Dresdens aus der Welterbeliste. Der deutsche Botschafter plädiert für ein weiteres Jahr Bedenkzeit. Die Oberbürgermeisterin von Dresden bekommt eine knappe Redezeit, die sie überzieht und daher das Wort entzogen bekommt. Dem schließt sich eine ausführliche Sachbefassung an. Nahezu alle 21 Komitee-Länder äußern sich. Im Kern wird deutlich, dass ein Riss durch das Komitee geht. Die einen wollen nach vier Jahren „rote Liste“ nun einen Schlussstrich ziehen und Dresden von der Liste streichen. Die anderen wollen Dresden eine letzte Gnadenfrist einräumen. Dabei spielt auch das hohe Ansehen Deutschlands im Komitee als Welterbe-Musterland eine große Rolle. Es wird geheime Abstimmung beantragt.
14:00 Das Komitee unterbricht die Beratungen zur Vorbereitung der Abstimmungszettel und zu einer Mittagspause.
15:40 Es wird die schwierige Verfahrenslage vom juristischen Berater geschildert. Eine so schwerwiegende Entscheidung sei nach den Statuten nur mit einer Zweidrittelmehrheit zu treffen, also mit 14 der 21 Stimmen.
Zunächst kommt der Vertagungsantrag zur Abstimmung. Für ihn stimmen acht Länder, dagegen 13. Also keine Mehrheit, Zweidrittelmehrheit schon gar nicht. Der Antrag auf Vertagung ist damit klar abgelehnt.
Aber die Zahl 13, eine unter der Zweidrittelmehrheit, lässt die Frage aufkommen, was denn passieren würde, wenn nur 13 Länder der Streichung Dresdens von der Liste zustimmen würde. Die Rechtsauskunft ist klar. In diesem Falle wäre der Streichungsantrag gescheitert, Dresden bliebe bis auf Weiteres auf der roten Liste.
Es wird erneut geheime Abstimmung beantragt. Spannung liegt in der Luft, bis das Ergebnis der Auszählung vorliegt.
16:40 Das Ergebnis wird verkündet: 14 Länder Stimmen für die Streichung Dresdens von der Welterbeliste, fünf dagegen, zwei enthalten sich. Dresden hat damit den Welterbestatus verloren.
Bertram Fleck und ich gehen zur Nachbetrachtung und Information an Mainz aus dem Saal, und wir sprechen mit einer Reihe von Journalisten über die Konsequenzen für unseren Antrag zum Mittelrheintal.
18:00 Wir gehen wieder zurück in den Saal, hören in den neuesten Sachstand hinein, buchen unser Hotel und unsere Flüge um, informieren alle Beteiligten.
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Zum Schluss informiere ich die heimische Presse mit folgender Email:
“Nach der soeben verteilten Liste (WHC-09/33.COM/INF.7Rev 4 mit Datum von heute) der zur mündlichen Beratung anstehenden Themen unter Tagesordnungspunkt 7 (Examination of the state of conservation of World Heritage properties) steht Nr. 104 Upper Middle Rhine Valley (Page 4 der Beratungsvorlage) trotz des enormen Zeitverzugs der Beratungen hier weiterhin zur mündlichen Aussprache an.
Unsere vierköpfige rheinland-pfälzische Delegation wird mit Unterstützung des deutschen Botschafters dafür kämpfen wie ein Löwe, dass dies auch so bleibt. Wenn das so bleibt, dann haben wir das erste Ziel unserer Mission erreicht, nämlich die Sachbefassung mit unserem Brückenprojekt.
Nach den aktuellen Planungen, die hier freilich nicht preußisch verstanden werden dürfen, ist vorgesehen, dass sich das Komitee zunächst morgen Abend dem fraglichen TOP 7 zuwendet und die Sachberatung am Samstagabend fortführt.
Angesichts der jetzigen Platzierung unseres Themas, ist eine Befassung am Freitagabend unwahrscheinlich, allerdings auch nicht absolut ausgeschlossen. Auf der anderen Seite wollen wir dafür kämpfen, dass dies am Samstagabend geschieht, hilfsweise Sonntagmorgen.
Wir wollen von hieraus die Entscheidung zu Dresden nicht kommentieren. Allerdings, da wir vor Ort von Journalisten immer wieder gefragt werden, ob wir “von Dresden gelernt” hätten, möchte ich doch noch einmal darauf aufmerksam machen, dass der Sachverhalt in unserem Falle völlig anders ist.
Das Thema Mittelrhein-Brücke spielte bereits im Antragsverfahren für das Welterbe Oberes Mittelrheintal, das im Jahre 2002 positiv abgeschlossen wurde, eine Rolle.
Wir haben es von uns aus immer wieder thematisiert und immer klar gemacht, dass wir eine welterbeverträgliche Lösung anstreben. In dieser Hinsicht gab es zwischen dem Verkehrsminister und mir als Regierungsbeauftragten für das Welterbe stets Einvernehmen und auch mit den verantwortlichen Kräften in der Region.
Deshalb haben wir von Anfang an die UNESCO stets über den Fortgang des Projektes informiert. Dies wurde von der UNESCO voriges Jahr in Quebec ausdrücklich und förmlich gewürdigt. Zugleich wurde dort eine Brücken- oder auch eine Tunnellösung nicht grundsätzlich ausgeschlossen.
Daraufhin hat der Verkehrsminister den internationalen Architekten-Wettbewerb ausgeschrieben, der zu einem Ergebnis geführt hat, das wir dem Komitee hier vorstellen wollen. Entsprechende Bilder sind zur Demonstration vorbereitet.
Wir streben hier in Sevilla keinen Blankoscheck für die Zukunft an. Unser Ziel ist, dass unser bisheriges Vorgehen gewürdigt wird und wir ausdrücklich ermuntert werden, diesen integrativen Weg weiter zu gehen.
Bis die Brücke in Betrieb genommen wird, wird noch viel Zeit vergehen, Praktiker schätzen zehn Jahre. Wir sind bereit, die UNESCO stets auf dem Laufenden zu halten. Was wir aber keinesfalls wollen, ist ein negatives Signal aus Sevilla. Wir wollen keine Verzögerung, sondern in aller Ruhe weiter machen, nach Recht und Gesetz. Daher kämpfen wir gegen den Beschlussvorschlag, der eine pure Vertagung beinhaltet. Wir wollen, nach der Sachbefassung hier in Sevilla, den nächsten Schritt einleiten, nämlich das förmliche Raumordnungsverfahren. Darin werden weiterhin alle strittigen Fragen zu erörtern sein.
Gerade nach dem heutigen Tag ist die anstehende Entscheidung nicht nur wichtig für uns in der Region. Das darf ich ausdrücklich im Namen des Vorstehers des Zweckverbandes Oberes Mittelrheintales, Landrat Bertram Fleck (CDU) mit sagen.
Sie ist auch wichtig für die Akzeptanz des UNESCO-Welterbe, die nicht “Käseglocke” oder “archäologisches Museum” bedeuten darf, sondern ökologisch abwägende, verantwortliche Weiterentwicklung einer von Menschen historisch gestalteten Region.
Wir sind optimistisch, dass wir diesen Aspekt in der Debatte um die Mittelrheinbrücke eindrucksvoll vortragen können. Wir sind fest davon überzeugt, dass wir nicht mit leeren Händen zurückkommen werden, sondern mit einem Aufbruchssignal.”
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Die obigen Ausführungen stehen Ihnen zur medialen Verwendung als O-Ton des Regierungsbeauftragten für die RLP-Welterbestätten frei.
Ich darf ankündigen, dass ich obigen Verteiler erneut informieren werde, wenn es belastungsfähige Neuigkeiten aus Sevilla zu vermelden gibt.
Zusätzliche O-Töne für Rundfunk und Fernsehen können über die Pressestelle (Frau Sabine Lucht) bzw. mein Büro (Frau Margot Hill) vereinbart werden.
Natürlich werden wir nach Rückkehr Ihnen im Rahmen einer Pressekonferenz zur Verfügung stehen.
Dazu werden sich die Pressestellen voraussichtlich morgen melden.
Soweit für heute mein Bericht aus Sevilla, einer wunderschönen Welterbestadt, von der wir bisher fast ausschließlich das Kongreßzentrum kennen gelernt haben.
20:30 Das Komitee schließt den heutigen Beratungstag. Mit dem Bus geht es zu einem – angenehmerweise – Freiluftempfang. Dort haben wir viele Gesprächsmöglichkeiten. Dann mit dem Bus zurück zum Hotel. Mit einigen Deutschen treffen wir uns noch zu einer Nachbesprechung.
00:10 Zurück im Hotel bearbeite ich die dienstlichen Emails und schreibe dieses Tagebuch.
Ein eindrucksvoller Tag geht zu Ende.
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