25 Jun
Mittwoch 24. Juni 2009 (aus Sevilla)
Posted in Tagebuch/Wochenberichte by joho Keine Kommentare00:35 Ich gehe um den Block, nachdem ich feststelle, dass im Hotel die Gastronomie nicht mehr offen ist, um noch irgendwo einen Happen zu essen und ein Bier zu trinken. Es ist immer noch sehr warm, wäre schön, draußen zu sitzen, aber alle Lokale sind bereits geschlossen oder es wird gerade aufgeräumt. Merkwürdig, da hört und weiß man normalerweise über den südländischen Lebensstil Anderes. In die Altstadt will ich nicht mehr
zurück. Das wären 15 Minuten eine Tour mit dem Taxi.
01:00 So esse ich einen Schokoriegel aus der Minibar, trinke nichts und erledige einige letzte Emails bzw. SMS, Telefonate und sehe das Nachtjournal im ZDF.
02:05 Der abwechslungsreiche Tag ist beendet.
06:00 Eine Benachrichtigung über mein Handy weckt mich. Das ist mirgerade recht für den Frühsport, der gestern nun gar nicht ging.
Ich laufe die 5,2 km vom Hotel zum Kongreßzentrum und zurück. Parallel zur Hauptverkehrsstrasse, nicht schön, aber sicher, um sich nicht zu verlaufen, denn ich bin das erste Mal in Sevilla.
In Texas/USA habe ich mich mal verlaufen, so dass ich nach 10 Kilometern entnervt meine Gastgeber angerufen habe, nach der Devise „Ich bin hier irgendwo, bitte holt mich ab“.
Das sollte hier nicht passieren, also Hauptstrasse – in die aufgehende Sonne hinein. Das ist schön und es ist so früh am Morgen auch noch nicht zu warm, ich schätze mal, es sind so 25 Grad. Im Laufe des Tages geht es auf 37/38 Grad hoch. Aber das Tagungszentrum der UNESCO ist klimatisiert.
07:50 Es wird gemütlich solo gefrühstückt und sehr reichhaltig, als Ersatz für das entgangene Abendessen am Vortag.
Ich verfolge noch die aktuelle Nachrichtenlage im Frühstücksfernsehen (Krieg in Afghanistan, drei tote Deutsche, Bundesverteidigungsminister Jung versucht das Wort „Krieg“ zu umschreiben) via ZDF.
Dann nehme ich den UNESCO-Bus zum Kongresszentrum.
10:00 Wir warten auf die Aufnahme der Beratungen, was mit 15 Minuten Verspätung dann auch geschieht. Als Anhänger preußischer Tugenden ärgert mich diese Unpünktlichkeit. Auch ist der geplante Zeitablauf schon mit einem halben Tag verspätet.
Die für unsere Rheinland-Pfalz-Delegation entscheidende Frage heute ist, wie das UNESCO-Komitee mit dem Beschlussvorschlag umgeht, Dresden wegen des dortigen Brückenprojekts von der Welterbeliste zu streichen.
Ich sitze neben unserem Berater Prof. Dr. Bernd von Droste zu Hülshoff, der auch gerade Wirtschaftsminister Hendrik Hering einen Zwischenbericht erstattet hat.
Wenn man ganz ehrlich ist, ohne von Droste hätten wir keine Chance für unsere Mission. Denn wir wollen nicht weniger als einen Beschlussvorschlag der ICOMOS auf Vertagung der Beratung der Mittelrheinbrücke kippen. Die UNESCO hört aber fast immer auf ICOMOS, der Weltdenkmalorganisation.
Allerdings ist es uns voriges Jahr in Quebec auch gelungen, den Kampf gegen die ICOMOS zu gewinnen. ICOMOS wollte grundsätzlich jede Mittelrheinbrücke und sogar einen Tunnel verhindern.
Wir konnten erreichen, dass die UNESCO hingegen keine prinzipielle Ablehnung einer Rheinquerung beschlossen hat.
Die Grundlagen dafür liefert unser Wirtschaftsministerium in Abstimmung mit uns, die wir für das Welterbe verantwortlich sind.
Aber Recht haben und Recht bekommen, das sind zwei Dinge.
Den Erfolg von Quebec verdanken wir entscheidend unserem Berater Bernd von Droste. Von Droste ist im Rheinland aufgewachsen und hat es in Rheinland-Pfalz bis zum Oberforstmeister gebracht. Später trieb es ihn zur UNESCO, wo er zunächst Direktor für Ökologie und Generalsekretär des Programms „Der Mensch und die Biosphäre“ war. Später wurde er Gründungsdirektor des UNESCO-Welterbekomitees bis zur Pensionierung 1999. Nach einer kurzen Interimslösung ist der heutige Direktor Francesco Bandarin sein Nachfolger.
Bernd von Droste und ich fanden im Jahre 2000 zusammen. Die Kampagne für das Anerkennungsverfahren des Oberen Mittelrheintales als UNESCO-Welterbe war im vollen Gange. Ich brauchte damals unter zweierlei Gesichtspunkten einen internationalen Fachmann: Einerseits, um die Wege innerhalb der UNESCO professionell zu finden. Zum Anderen, um einen Experten im Hinblick auf die internationale Praxis an der Seite zu haben, der bei den Bürgerversammlungen erklären kann, was genau Welterbe bedeutet, welche Rechte und Pflichten im Alltag mit dem Titel verbunden sind.
Die Serie von insgesamt 13 Bürgerveranstaltungen, die wir im ersten Quartal 2001 miteinander bestritten haben, waren für die Akzeptanz des Antrags „Welterbe Oberes Mittelrheintal“ in der Bevölkerung und in der UNESCO ganz entscheidend.
Im Juni 2002 waren wir dann zusammen im Welterbekomitee der UNESCO in Budapest. Ein Dritter im Bunde war damals auch dabei, Dr. Christian Schüler-Beigang, der sich verdient gemacht hatte durch die Vorlage der zwei großen Monographien, die quasi die wissenschaftliche Fundierung des von mir als Regierungsverantwortlicher zeichnenden Antrags für das Welterbe darstellte.
Den Zweckverband der Kommunen am Mittelrhein gab es seinerzeit noch nicht. Insofern war Landrat Bertram Fleck (CDU) 2002 noch nicht mit von der Partie.
Die Sitzung in Budapest im Jahre 2002 war auch sehr turbulent, unser Antrag wäre beinahe gescheitert. Das beherzte Auftreten von Schüler-Beigang hatte seinerzeit „Bedenkenträger“ im Komitee widerlegt. Aber das ist eine andere, eine eigene Geschichte.
Für heute ist entscheidend: Wenn man in solch einer Mammutsitzung, ich schätze mehr als 600 Personen im Raum bei nur 21 Stimmberechtigte, eine Beschlussvorlage ändern will, braucht man genau zeitlich abgestimmte Signale für beginnende, sinnvolle Überzeugungsarbeit.
Bertram Fleck und ich sind dabei, um inhaltliche Begründungen für Debatten zu liefern und mögliche Kompromisse inhaltlich abzuklopfen.
Bernd von Droste aber muss wissen, wann man mit wem, mit welchem Ziel, mit welcher Aussicht auf Erfolg, reden kann.
Dabei ist für unseren Auftrag ganz wichtig, wie die Brückendiskussion in Dresden gelaufen ist und läuft. Denn dort ist man einen anderen Weg gegangen als wir im Mittelrheintal.
Wir haben uns zu jedem Zeitpunkt eng mit der UNESCO abgestimmt. Und in Quebec hat das Komitee uns dafür auch förmlich gelobt. Deshalb ärgert es mich, wenn wir mit Dresden in einen Topf geworfen werden oder gar von „roter Liste“ („gefährdetes Welterbe“) geschrieben/gesprochen wird, die nun wirklich nicht ansteht.
Für uns gibt es hier in Sevilla nur zwei Entscheidungsfragen, die hoffentlich morgen anstehen:
Erstens. Gelingt es uns durchzusetzen, dass sich das Komitee förmlich mit unserem Projekt befasst?
Zweitens Gelingt es uns zu verhindern, dass einfach „Vertagung“ um ein Jahr beschlossen wird statt ein „positives Zeichen“ in Richtung auf die vorliegende Brückenlösung zu setzen?
Unter diesem Gesichtspunkten verfolgen wir die laufenden UNESCO-Beratungen.
12:00 Zwischendurch verlasse ich den Beratungsraum, um mit dem Laptop weiter arbeiten zu können, wozu ich aber den Akku aufladen muss, was im Konferenzraum nicht geht. Es kommt ein Journalist vom SWR auf mich zu, der mich kennt. Es gesellt sich noch eine Journalistin des ZDF hinzu. Sie bitten um Hintergrundinformationen zu unserem Mittelrheinprojekt.
Bei der Gelegenheit erfahre ich erstmals, dass Journalisten keinerlei Zugang zum UNESCO-Konferenzraum haben und die Beratungen auch nicht in einen Presseraum übertragen werden.
Die Vorstellung von „vertraulichen Beratungen“ in einer Konferenz mit insgesamt 1.000 Teilnehmern und Teilnehmerinnen (selbstredend nicht immer alle gleichzeitig anwesend) ist schon amüsant. Jetzt wird mir aber auch klar, warum es über die UNESCO- Sitzungen leicht zu Fehlmeldungen kommen kann, weil die Journalistenschaft sich gelegentlich auf Sekundärquellen stützt. Nachdem das nun klar ist, kommen auch noch meine Kollegen Fleck und Schüler-Beigang hinzu, wir zeigen den Berichterstattern unsere Brücken-Wettbewerbssieger, erklären detailliert unser Vorgehen. Wir hoffen, dass wir damit eine Grundlage für eine sachgerechte Berichterstattung legen.
13:00 Mittagessen mit Landrat Bertram Fleck in der Cafeteria des Konferenzraums. Gelegenheit zu weiteren Strategiegesprächen. Es ist sehr im Interesse des Projektes, dass wir mit ihm und mir zwei Repräsentanten unterschiedlicher Parteizugehörigkeit hier dabei haben, die gut miteinander können, denen es nur um das Sachanliegen geht und die verantwortungsvoll und vertrauensvoll miteinander arbeiten können.
Das sollte auf der kommunalen Ebene sowieso der Alltag sein, wo Fähigkeiten wichtiger sind als Gesinnungen. Auf Landesebene geht es dann, wenn die Beteiligten es wirklich wollen.
14:00 Teilnahme an der Besprechung der 17-köpfigen deutschen Delegation, darunter wir vier Rheinland-Pfälzer. Die Besprechung wird vom Delegationsleiter, dem Deutschen Botschafter bei der UNESCO Günter Overfeld geleitet. Wir informieren uns wechselseitig über den Stand unserer Projekte.
Alle sind besorgt, dass wir dem Zeitplan mittlerweile 24 Stunden nachlaufen. Erstmals bedenken wir Plan B, nämlich dass der Mittelrhein vielleicht nicht mehr am Donnerstag, sondern erst am Freitag Tagesordnungspunkt wird. Das hätte Konsequenzen auf unsere reservierten Rückflüge, Hotel, Termine je zu Hause etc. Schrecklich, aber niemand kann es zum jetzigen Zeitpunkt sagen.
Das Ganze ist für Außenstehende kaum zu begreifen:
Das Komitee tagt einmal im Jahr mit einer achttägigen Mammutsitzung. Dort stehen diesmal insgesamt 157 Themen zur Entscheidung an. Niemand kann prognostizieren, ob ein Punkt in einer Minute oder eben in 30 Minuten abgeschlossen ist. Das Komitee erhebt den Anspruch darin frei zu bleiben, sich zu äußern, ohne Rücksicht auf Zeitpläne zu nehmen.
Auf der anderen Seite: Kaum jemand außerhalb des UNESCO-Komitees ist die ganzen acht Tage vor Ort. Die Beobachter/-innen und Berichterstatter/-innen müssen sich in den Ablauf der Sitzung „einfädeln“ (können). Das ist schwierig. Gleichzeitig ist ein unglaubliches Medieninteresse mit den Beratungen verbunden. Es sind Pressekonferenzen exakt getimt, Zeitungsseiten freigehalten, Fernseh- und Rundfunksendeplätze geschaffen. Alle wollen im erwarteten zeitlichen Korridor ihre Neuigkeiten haben.
15:00 Die rheinland-pfälzische Delegation trifft sich zu einer Nachbesprechung. Wer informiert wen? Wer redet mit wem? Das muss abgestimmt werden, damit wir wirklich als Einheit auftreten. Das funktioniert richtig gut zwischen uns.
15:30 Die Beratungen im UNESCO-Komitee werden fortgesetzt. Wann geht es um Dresden? Wird Dresden von der Liste gestrichen? Oder schaffen es die Dresdner, erneut mit einer „letzten Frist“ davon zu kommen? Sie kämpfen heftig für eine „Gnadenfrist“.
Es wird zwar gemunkelt, es gäbe eine Nachtsitzung heute, dann aber hören wir das Gegenteil: Die Dolmetscher seien nicht eingeteilt, also kann nicht nachts getagt werden, also wird auch nicht versucht, Zeit wieder gut zu machen. Wir führen weitere Gespräche in der Delegation und mit Journalisten. Ich informiere Mainz und die bei mir nachfragenden Journalisten über den Sachstand, soweit wir ihn selber kennen können.
Heute passiert nichts mehr. Morgen neuer Tag, wir werden sehen.
19:00 Wir lassen unseren „UNESCO-Erfahrensten“ Bernd von Droste zur Sicherheit zurück und wir restlichen Drei, Bertram Fleck, Schüler-Beigang und ich, machen uns auf den Weg in die Altstadt. Für mich bedeutet das: Nachholen, wozu ich gestern keine Chance hatte, Altstadt sehen, schön Essen und Trinken.
22:45 Meine Gefährten verlasse ich, um per Taxi zurück ins Hotel zu fahren. Die Pflichten rufen: berufliche Emails müssen noch erledigt werden, ebenso das Anfertigen dieses Tagebuchs.
23:45 Das Tagewerk ist vollbracht. Voller Hoffnung.
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